Donnerstag, 13. Oktober 2016

Das Internet als Entwicklungsabteilung nutzen

Im Netz wird Mitmachen großgeschrieben. Jeder kann seine Meinung über ein Produkt äußern – und mehr noch: Immer öfter opfern Anwender Freizeit und gestalten Produkte oder Dienste mit. Das Prinzip nennt sich Crowdsourcing.

Dabei bedienen sich Unternehmen der Masse der Internetnutzer, der sogenannten Crowd, und ihrer «Schwarmintelligenz». «Das Internet macht Konsumenten zu Koproduzenten», sagt August-Wilhelm Scheer, Präsident des IT-Branchenverbandes Bitkom. Beim Crowdsourcing sucht sich der Nutzer nicht nur Entscheidungshilfen für den Einkauf eines Produktes, sondern wird Mitarbeiter im Entwicklungsprozess.

Jeder fünfte Internetnutzer wolle sich über das Netz an der Entwicklung von Produkten beteiligen, hat eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Bitkom ergeben. Bei den 14- bis 29-Jährigen möchte sogar fast jeder Dritte Einfluss nehmen.

«Engagierte Kunden haben oft gute Ideen, wie Produkte und Dienste noch besser werden können», erklärt Scheer das Engagement. Der Verbraucher freue sich über ein passgenaues Produkt. Dafür sei er sogar bereit, einen Teil seiner Freizeit zu investieren.

Ein Beispiel für ein Unternehmen, das die Produktgestaltung und -auswahl schon seinen Kunden überlässt, ist der T-Shirt-Hersteller Threadless aus den USA. Weltweit kopieren inzwischen viele Firmen das Konzept, zum Beispiel A-Better-Tomorrow.com in Deutschland. Die Surfer stellen ihre Design-Vorschläge in ein Forum, die Community bewertet sie. Produziert werden nur die beliebtesten Motive – in limitierter Auflage und mit einer kleinen Provision für die Einreicher. 800 bis 1000 Motivvorschläge gehen pro Woche allein bei Threadless ein.

Nicht nur kreative Aufgaben wie das Designen von T-Shirts, Taschen oder Schuhen stemmt die Crowd. Auch kleine Dienstleistungen und Jobs erledigt oft der Verbraucher zu Hause vor dem Bildschirm. «Grundsätzlich können alle nicht materiellen und nicht konkret personengebundenen Leistungen durch Unternehmen auf die Internetnutzer ausgelagert werden», erklärt der Soziologe Christian Papsdorf, Autor des Buches «Wie Surfen zu Arbeit wird: Crowdsourcing im Web 2.0».

Das Spektrum reicht vom Verfassen von Texten über das Programmieren spezieller Software bis zur Verschlagwortung von Bildern. Ein bekanntes Beispiel für ein Projekt, das sich primär der Crowd bedient: die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia. Ebenfalls vergleichsweise populär ist Tchibo Ideas. Seit 2008 ist die Ideenplattform für Alltagsprobleme online. Community-Mitglieder können dort Fragen und passende Lösungen posten und bewerten. Einige Idee bringt Tchibo dann in seine Läden – zum Beispiel einen Autohandtaschenhalter, eine Trinkflasche mit Geheimfach oder einen unkaputtbaren Blumentopf.

Spaß ist bisher wohl der größte Motor für die unbezahlte Arbeit der Anwender. Das könnte sich in Zukunft verändern. «In der Regel vollbringen User wirtschaftlich relevante Tätigkeiten, ohne eine entsprechende Entlohnung zu erhalten», sagt Papsdorf. Immer mehr Anbieter locken auch mit bezahlten Kleinaufträgen. So bearbeiteten zum Beispiel im Oktober 2010 bei Clickworker.com, einem Vermittler für bezahltes Crowdsourcing, 67 000 registrierte Nutzer mehr als 360 000 Aufträge diverser Unternehmen.

Wissenschaftler Papsdorf sieht die Vorteile von Crowdsourching aber noch primär auf Seite des Unternehmens: «Dieses lagert nicht nur Tätigkeiten, sondern auch Risiken, Investitionen, ganze Infrastrukturen, Flexibilität, Lohnnebenkosten und vieles andere mehr aus, wodurch vielmals marktwirtschaftliche Vorteile entstehen.» Dafür opfert der Verbraucher Freizeit. Viele Nutzer bemerken dies aber nicht, oder es stört sie noch nicht. «Wenn dieser Hype abklingt, werden User sehr genau überlegen, ob sie Unternehmen weiterhin mit ihren Ideen und ihrer Zeit unterstützen wollen», glaubt der Soziologe.

Quelle: http://ift.tt/2deHeQa



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via Peter Planlos

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